Neue EU-Verordnung Saatgutinverkehrbringung

Zuerst eine kurze Zusammenfassung was dich hier erwartet:

In Zukunft dürfen nur noch Professional Operators Saatgut verkaufen.

Im privaten Bereich dürfen Kleinstmengen getauscht werden. Aber nur, wenn dafür keine Werbung gemacht wird oder das irgendwie kommerziell genutzt wird.

Ausnahmen gibt es für Pflanzenmaterial, das zur Zucht, amtliche Tests oder wissenschaftliche Arbeit verwendet wird. Weitere Ausnahmen sollen für Genbanken und Erhaltungsorganisationen und den Tausch unter Bäuerinnen gelten. Natürlich alles unter Aufsicht und unter besonderen Bedingungen.

Saatgutinverkehrbringen – Was soll sich ändern?

Bis jetzt war das Saatguterzeugungs- und Inverkehrsbringungsgesetz eine Richtlinie der EU, die seit den 1960er Jahren existiert und nun erneuert werden sollte. Eine Richtlinie zeichnet sich dadurch aus, dass die Mitgliedsstaaten in der Umsetzung einen Spielraum von-bis haben und es ist in der Tat innerhalb der EU sehr unterschiedlich, was erlaubt ist oder nicht. In Polen und Frankreich ist zb. Eine Direktvermarktung von Saatgut wie die meine bereits seit einigen Jahren nicht gesetzeskonform.

Es ist bereits so, dass nicht jeder einfach so Saatgut von irgendwelchen Sorten verkaufen darf. Zum Beispiel darf man kein Saatgut von in die EU-Liste eingetragenen Hochleistungssorten als nicht zertifizierter Saatgutanbieter verkaufen. Die registrierten Hochleistungssorten müssen die DUS Kriterien erfüllen (Unterscheidbarkeit, Homogenität und Beständigkeit). Seit 2019 gelten neue Regeln, was den Fernabsatz von Saatgut betrifft: Saatgut darf nur mehr nach erfolgter Pflanzenpasskontrolle verschickt werden. Jeder online Webshop muss daher den Pflanzenpass aufweisen.

Abgesehen von den Hochleistungssorten gibt es noch regionale Sorten, Erhaltungs- und Amateursorten. Für diese Sorten hat es in Österreich die letzten Jahre eine gesetzliche Ausnahmeregel gegeben, die es erlaubt hat, Saatgut von diesen Sorten in ganz kleinen Mengen weiterzugeben. Das ist das, was ich hier mache. Österreich hat diesbezüglich eher den liberalen Weg gewählt und hat erlaubt, dass kleine Mengen von Saatgut bestimmter Sorten verkauft werden dürfen.

Nun soll alles in Form einer Verordnung homogenisiert werden, dass es EU weit keine Unterschiede mehr gibt. Verordnungen müssen von allen Staaten 1:1 in nationales Recht umgewandelt werden.

Im Juli wurde ein Gesetzespaket vorgestellt, unter dem Namen (frei übersetzt):

„Nachhaltige Nutzung von natürlichen Ressourcen“

Der Vorschlag basiert auf den zwei Säulen

  • Deregulierung von neuer Gentechnik
  • neuen Regeln für die Produktion und Vermarktung von Vermehrungsmaterial.

Die Ziele der Reform wurden wie folgt angegeben:

  • Qualität / Verfügbarkeit / Innovation
  • Funktionierender Binnenmarkt
  • Erhaltung und nachhaltige Nutzung pflanzengenetischer Ressourcen
  • Nachhaltige landwirtschaftliche Produktion

Professional Operator

Die Grundpfeiler der alten Richtlinie, und zwar die Vorabregistrierung von Sorten und die Zertifizierung von Material bleiben bestehen. Neu ist eine sehr breite Definition von Vermarktung: Es soll sowohl der Verkauf als auch die unentgeltliche Weitergabe von Saatgut nur noch von Professional Operators durchgeführt werden können. Man könnte den Begriff „Professional Operators“ mit Unternehmer gleichsetzen. Es muss zwingend die Meldung im Unternehmerregister erfolgen und die Pflanzenpasskontrolle durchgeführt werden. Abgesehen davon hat ein Professional Operator sehr viele Dokumentationsverpflichtungen und die Herkunft des Saatguts, das zu gewerblichen Zwecken genutzt wird, muss rückverfolgbar sein und darf nur von Betrieben gekauft werden, die auch den Pflanzenpass haben. Auch die Abgabe von Saatgut an gewerbliche Kunden muss dokumentiert und drei Jahre aufbewahrt werden. Also ein Professional Operator muss dafür sorgen, das die Rückverfolgbarkeit auf allen Stufen der Produktion und des Inverkehrbringens gegeben ist.

Dazu möchte ich kurz zu meiner letzten Pflanzenpasskontrolle ausschweifen: Ich hatte 2023 die dritte Kontrolle. Es gab Verschärfungen, die Behörde musste wirklich ganz streng von jeder Mutterpflanze eine Probe für das Labor mitnehmen. War keine Mutterpflanze mehr vorhanden, musste von dem gewonnenen Saatgut Probematerial mitgenommen werden. Der Hinweis, dass ich Saatgut nur von anderen Betrieben mit Pflanzenpass vermehren und verkaufen kann, war mir zwar nicht neu, aber in dieser Vehemenz, wie es mir heuer vermittelt wurde, macht er mir Angst. Denn das würde z.B. heißen, dass ich keine alten Sorten von privaten Vermehrern/Leuten mehr vermehren und verkaufen darf. Anders gesagt: gewerbliche Nutzung von Saatgut ist nur mit Sorten erlaubt, die bereits im Pflanzenpasskreislauf vorhanden sind. Deshalb war eine zentrale Frage von mir: wie kann man dann neue „alte Sorten“ legal in dieses System bringen?

Ausnahmen vom Gesetz

Artikel 29 sieht eine Ausnahme von den Vorschriften über die Sortenregistrierung, zertifiziertes und standardisiertes Saatgut, Verpackung und Etikettierung, Mischungen und Kontrollen für Pflanzenmaterial (zb. Saatgut) vor.

Unter bestimmten Voraussetzungen darf Pflanzenmaterial auch weitergegeben werden:

  • zwischen zwei Genbanken darf Pflanzenmaterial ausgetauscht werden mit einem satzungsgemäßen Ziel oder einem der zuständigen Behörde mitgeteilten Ziel zur Erhaltung pflanzengenetischer Ressourcen.
  • Wenn das in einem von einem Netzwerk mit einem geführten Register mit einer angemessenen Beschreibung der Sorte aufgeführt ist.
  • Pflanzenmaterial, das erhalten wird; Proben sind auf Anfrage an die Behörde abzugeben (der Punkt ist für mich sehr unklar)

Auch für den Saatgut Tausch gibt es eine Ausnahme: dieser ist unter Landwirtinnen erlaubt, wenn:

  • der Tausch in kleinen Mengen und ohne kommerziellen Zwischenhändler erfolgt. Es darf keine Werbung dafür gemacht werden.
  • Voraussetzung ist, dass das Saatgut im eigenen Betrieb erzeugt wird, aus der eigenen Ernte stammt; und nicht Gegenstand eines Dienstleistungsvertrags mit einem Professional Operator ist
  • Das Saatgut nicht zu einer Sorte gehört, die dem Sortenschutz unterliegt, und praktisch frei von Qualitätsschädlingen und anderen Mängeln ist, und eine zufriedenstellende Keimfähigkeit aufweist.

Position der Arche Noah (Verein zur Erhaltung der Kulturpflanzenvielfalt)

Nach Ansicht von Arche Noah besteht der Gesamteffekt des Vorschlags darin, die Erhaltungsmaßnahmen so stark zu belasten, dass sie für viele Akteurinnen praktisch unmöglich werden. Viele Akteurinnen werden entweder ihre Aktivitäten einstellen, was zu einem weiteren Verlust der Agrobiodiversität führt, oder in die Illegalität abgleiten.

Der Mangel an Möglichkeiten für einen freien Verkehr von PRM (plant reproduction material) innerhalb von Organisationen/Netzwerken bedroht den Kern der Arbeit von Saatguterhalterinnen und Erhaltungsnetzwerken.

Die mangelnde Möglichkeit für Bäuerinnen, Material von Genbanken/Organisationen zu erhalten, bedroht auch das Herzstück der In-situ-Erhaltung. Das Europäische Kooperationsprogramm für pflanzengenetische Ressourcen (ECPGR) listet eine Vielzahl von Best-Practice-Beispielen auf, bei denen Erhaltungsmaterial an Bäuerinnen abgegeben wurde und nun erfolgreich angebaut und erhalten wird1. Diese Beispiele wären nach den neuen Rechtsvorschriften nicht möglich.

Diese Einschränkungen stehen in direktem Widerspruch zu den Zielen des Internationalen Vertrags über pflanzengenetische Ressourcen für Ernährung und Landwirtschaft (ITPGRFA) und dem in der Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte von Bauern und anderen Menschen, die in ländlichen Gebieten arbeiten (UNDROP), anerkannten Recht auf Saatgut.

Die Anforderungen an PRM entsprechen nicht der Realität der Erhaltungsarbeit. Während es zum Beispiel die Hauptaufgabe von Genbanken und Saatgutretter-Netzwerken ist, Saatgut zu erhalten, das keimt, gesund und in ausreichender Menge vorhanden ist, sind die Ressourcen sehr begrenzt. Auch wenn einige Samen eine niedrige Keimfähigkeit haben, macht dies sie nicht unhaltbar, und die Weitergabe an Bäuerinnen oder Gärtnerinnen zum Anbau könnte für ihre Erhaltung unerlässlich sein.

Die Verpflichtungen für „professional operators“ sind für die industrielle Saatgutproduktion konzipiert, und sind für Saatguterhalterinnen und Erhaltungsorganisationen sowie für Kleinstbetriebe völlig ungeeignet.

Die Mitgliedstaaten sollten nicht die Befugnis haben, kleine Mengen zu definieren. Stattdessen sollte die Freiheit, Saatgut zu übertragen, flexibel sein, um eine Vielzahl von Situationen abzudecken, in denen Bäuerinnen Saatgut austauschen wollen oder müssen. Der Austausch zwischen Bauerinnen findet ohnehin nur im Rahmen einer persönlichen Beziehung oder eines Netzwerks/einer Gemeinschaft statt. Bauerinnen, die auf diese Weise Saatgut erwerben, sind sich bewusst, dass das Saatgut nicht dieselben „Garantien“ hat wie kommerzielles Saatgut.

Meine persönliche Meinung

Der Name des Gesetzespaket „Sustainable Use of Natural Resources“ ist eine klare Themenverfehlung in Zusammenhang mit seinem Inhalt. Das würde implizieren, dass nur Unternehmer Saatgut nachhaltig nutzen und dass es ausschließlich um natürlich Ressourcen ginge. Aber die Aufweichung der neuen Gentechnik würde nicht natürlich hergestellte Sorten (etwas durch die CMS, Crisp Technik) auf dieselbe Ebene wie natürlich gezüchtete Sorten stellen. Das ist meiner Meinung nach eine versuchte Reinwaschung von genetisch veränderten Organismen.

Generell bin ich dem Ganzen extrem kritisch gestimmt. Abgesehen davon, dass ich meinen Saatgut Raritäten Webshop dicht machen müsste, geht es mir eher ums Große Ganze. Die Sortenvielfalt wird sich verringern. Wenn nur mehr Unternehmer Saatgut von gelisteten Sorten anbieten dürfen, wer kümmert sich um die Sorten, die nicht ganz so homogen sind, nicht den perfekten Ertrag haben oder aus verschiedenen Gründen nicht populär geworden sind? Hausgärtner haben außerdem andere Ansprüche an Sorten wie große Gemüsebauern. Regionale und alte Sorten sind ein Teil der menschlichen Kulturgeschichte, die sich mit dem Inkrafttreten dieses neuen Gesetzes wahrscheinlich großteils vertschüssen würde.

Forderungen

  • Der Erhalt der Kulturpflanzen-Vielfalt muss erlaubt werden. Sämtliche Regeln, die diese Arbeit behindern, sind zu streichen!
  • ŸDas bäuerliche Recht, eigenes Saatgut zu tauschen und zu verkaufen, muss abgesichert werden!
  • Der Verkauf an Hobby-Gärtnerinnen muss frei möglich sein!
  • „Vielfaltssorten“ brauchen einen gleichberechtigten, fairen Marktzugang!
  • Transparenz über Züchtungsmethoden und Patente
  • Saatgut-Testungen müssen unter Bio-Bedingungen oder mit minimalem Einsatz von chemisch-synthetischen Mitteln stattfinden!

Was kann man tun?

Momentan muss abgewartet werden. Es tagen bis Ende April der EU-Rat und das Europäische Parlament darüber. Ab Winter 2024 besprechen dann Rat, Parlament und Kommission. Entscheidung 2025? Inkrafttreten ab 2028/29.

Es wird sicher etwas passieren, von Unterschriftenlisten bis größere Kampagnen. Ich halte euch am laufenden!!

Habt ihr Ideen, wie man entgegensteuern könnte? Hat jemand gute Kontakte?

Habt ihr Ergänzungen, Vorschläge oder Korrekturen dieses Artikels, dann schreibt mir bitte unter kontakt@sortenwerkstatt.net